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Gewerkschaftsspitzen streiten für ein soziales Europa

©DGB Niederrhein
21.11.2016
Pressemitteilung DGB Region Niederrhein 2016
Die Spitzen der Gewerkschaften aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden haben in Krefeld gemeinsam Position für ein soziales Europa bezogen.

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann ermahnte in einer europapolitischen Grundsatzrede die Politik, den gesellschaftlichen Fliehkräften durch ständig steigende soziale Schieflagen in ganz Europa endlich an der Wurzel zu begegnen. Der Brexit und Zulauf zu Rechtspopulisten seien Folgen einer falschen Wirtschaftspolitik. Statt Appellen und Sonntagsreden ist für den DGB-Chef eine Kehrtwende für soziale Rechte und für einen Marshallplan in Südeuropa angesagt.
Im Gespräch mit WDR-Redakteur Jürgen Zurheide wurde klar, dass belgische, niederländische und deutsche Gewerkschaften in der aktuellen Kommissionsinitiative für eine europäische Säule Sozialer Rechte im Prinzip eine wichtige Chance sehen, mit einem ambitionierten Konzept den jahrelangen sozialen Stillstand und Rückschritte in der EU zu überwinden.

Für Catelene Passchier (Vize-Vorsitzende FNV) greifen die aktuellen Kommissionsüberlegungen zu einer europäischen Säule sozialer Rechte in vielen Punkten allerdings entschieden zu kurz oder sie weisen in die falsche Richtung. Für den belgischen ABVV-Vorsitzenden Rudy de Leeuw ist die Entscheidung der Briten gegen eine EU-Mitgliedschaft ihres Landes Ausdruck des massiven Vertrauensverlusts in eine Union, in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Schutz gegen sinkende Lebensstandards, niedrige Reallöhne, prekäre Arbeit und schlechte Arbeitsbedingungen finden.

Mit der wirtschaftspolitischen Steuerung der letzten Jahre wurde nach Auffassung der Gewerkschaften der falsche Weg eingeschlagen. Ihre Fokussierung auf Haushaltskonsolidierung und verstärkten Lohndruck hat dramatische Folgen für viele Menschen in Europa. Maßgeblich dazu beigetragen haben die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts ebenso wie der Euro-Plus-Pakt und der Fiskalpakt. All dies habe dazu geführt, dass die Armut zugenommen hat, während die Kaufkraft und die Lebensqualität von immer mehr Menschen in Europa stark gelitten haben. Extrem sind die Auswirkungen in südeuropäischen Ländern, für die der DGB seit der Wirtschaftskrise 2008 einen Marshallplan fordert.

Eine effektive Stärkung der sozialen Rechte in Europa setzt ein grundsätzliches Umdenken in der Wirtschaftspolitik voraus: Statt Ausgabenkürzungen braucht es Investitionen, die gute Arbeitsplätze schaffen. Die angestrebte Verlängerung der Laufzeit des Europäischen
Investitionsfonds auf 2022 und die Verdoppelung seines Investitionsvolumens auf 630 Mrd. Euro weisen in die richtige Richtung, reichen aber längst noch nicht aus.

DGB, FNV und ABVV halten es für ausgesprochen problematisch, dass die Kommission in ihrer Mitteilung explizit am Flexicurity-Konzept festhält. Die im Zuge der europäischen Krisenpolitik angestoßenen Strukturreformen haben massiv zu einer Schwächung und Dezentralisierung nationaler Tarifsysteme und -parteien beigetragen. Damit steigt die Gefahr, dass Flexicurity Formen prekärer Beschäftigung weiteren Vorschub leistet und nichts anderes bedeutet als den einseitigen Abbau von sozialen Ansprüchen und Schutzrechten auf Arbeitnehmerseite. Genau deshalb lehnen die Gewerkschaften die Grundsätze für „Flexible und sichere Arbeitsverträge“ ab, welche die Kommission unter dem zweiten Punkt ihres ESSR-Entwurfs vorschlägt.

In der von der EU-Kommission vorgelegten Form werden Chancen für eine Stärkung sozialer Rechte nicht genutzt. Die Gewerkschaftschefs appellieren an die Parlamente in Straßburg, Brüssel, Den Haag und Berlin, den Kurswechsel für ein soziales Europa zu erzwingen.

Zum Abschluss unterzeichneten Reiner Hoffmann und Catelene Passchier einen Kooperationsvertrag auf gegenseitige Rechtshilfe für Mitglieder des FNV und der DGBGewerkschaften bei der grenzüberschreitenden Arbeitstätigkeit. Nach dem Vorbild sollen weitere Abkommen folgen.